Der Duft Armeniens: Akazien und wilder Thymian

Gyumri und die Provinz Shirak im Mai 2024

Erneut bin ich zu Besuch in Gyumri, Armenien. Diesmal komme ich direkt mit dem Flugzeug von Frankfurt und nicht über den Landweg wie im letzten Jahr. Meine Vorfreude ist dabei genau so groß, auch wenn die Anreise diesmal viel schneller von Statten geht. Denn ich habe vor, Gyumri und Umgebung in den nächsten Tagen ein wenig neu zu entdecken. So stehen Wanderausflüge in die Umgebung an, die ich bislang noch nicht geschafft hatte, weil die Reiseroute mich zu rasch weiter geführt hatte. Aber vor allem habe ich in den letzten Monaten die Straßenfotografie und Schwarz-Weiß-Fotografie neu für mich entdeckt. Daher freue ich mich auf Gyumri als Fotomotiv mit seiner schönen Altstadt aus der Zarenzeit, gepaart mit einer lebendigen Stadtkultur.

Stadtansichten Gyumris

Zum Thema Kultur kaufe ich in im Berlin Art Hotel ein schönes Buch namens „lenduta“ mit Stadtansichten des Künstlers Ararat Sarkissian. Dabei spielt der Name „lenduta“ auf „Leninakan“ an, den Namen der Stadt von 1924 bis 1991. Wobei die Einheimischen den Namen damals zu Lennagan verkürzten, mit Betonung der ersten Silbe. Die Verbindung zu Lenin wurde so auf den Straßen der Stadt praktisch neutralisiert, lese ich auf den ersten Seiten.

 

Zwischen meinen Wanderausflügen streife ich durch die Straßen Gyumris und sammle meine Stadtansichten der Häuser und Menschen, gerne gepaart mit Straßenhunden, Wäscheleinen oder Oldtimern. Natürlich zeigen meine Bilder meine ganz subjektive Sicht auf die Stadt. In fotografischer Hinsicht nicht so spannend finde ich Großbaustellen in einigen Straßenzügen, touristischen Rummel samt Pärchen in historischen Kostümen oder auch sündhaft teure Geländewagen – oder die zumindest so tun – rund um die Fußgängerzonen der Stadt. Gyumri wächst und prosperiert also. In meinen Bildern versuche ich dagegen eher, ein wenig dem urbanen Charme Lennagans nachzuspüren, auch wenn ich damals die Stadt noch gar nicht kannte.

 

Dazu passt ein Zitat des armenischen Kunstkritikers Vardan Jaloyan, der in „lenduta“ zu Wort kommt:

 

Modern civilization is urban.

We live in cities rather than states or countries. …

Once on the street, we absorb the flow of urban life.

The city streets, squares, buildings, and parks give form to the movement of our bodies, our thoughts, and our feelings. Our feet read the city, each time creating new stories. We talk to our city, just living here, passing through it and looking at it.

 

 


Was dagegen unbedingt in Farbe aufs Bild gehört, ist neue Street Art, die ich in Gyumri entdecke. So verfolge ich auf Stromkästen eine Spur von Stickern armenischer Charakterköpfe durch die Stadt. Ich erkenne Charles Aznavour und den armenischen Komponisten Aram Khatchaturian, die anderen Herren sind den Armeniern sicher genau so bekannt, nur mir eben nicht. Am Eingang eines Souvenirladens finde ich ein Stück Lego Street Art. An manchen Stellen findet sich daneben noch ein Hashtag, den ich mir von einem armenischen Freund übersetzen lasse: „Lasst uns malen“ schreibt er mir. Eine lebendige Kunstszene setzt Akzente im öffentlichen Raum.

Mosaikbilder sind ein weiteres Street-Art-Motiv, das sich durch die Straßen Gyumris zieht. Im Stil des französischen Street-Art-Künstlers Invader entdecke ich Aliens und Totenköpfe, dazu an der Wand neben meiner Lieblings-Teestube eine Kellnerin. Sogar im Stadtpark haben sich die „Invasoren“ verewigt. 

Die Düfte Armeniens

Schon auf dem Weg zum Park bemerke ich etwas Wunderbares, das sich nicht mit Fotos einfangen lässt: Ein zarter, frischer Duft, der durch die Straßen zieht. Ist die Straße etwa mit Blumenseife geputzt worden? Das kann ja nicht sein. Im Park angekommen rieche ich den Duft noch intensiver, blumig und weich, Assoziationen von üppigen Schaumbädern werden geweckt. Schwaden von weißen Flöckchen treiben im Wind und sammeln sich irgendwann auf dem Boden. Ein Geruchstest der weißen Wolle zeigt mir aber, dass der blumige Bade-Duft nicht davon kommt. Ich erfahre später von meinen Freunden, dass die Wolle von den Pappeln fällt, den Duft aber verströmen die Akazien, ein beliebter Straßenbaum der Stadt. Warum Akazienhonig so aromatisch schmeckt, kann ich mir nun noch besser vorstellen.


Eine der Wanderungen, die ich in der Umgebung unternehme, führt uns einige Stunden lang nicht nur entlang von Seen, Weiden, aufgelassenen Dörfern, Fischweihern und Felsen bis zum Kloster Marmaschen, sondern hüllt uns auch auf dem größten Teil des Weges in den überwältigenden Duft von wildem Thymian. 

 

Zuerst müssen wir jedoch etwas früher aus dem Auto steigen, denn der Rest des Feldweges ist verschlammt und wir laufen erst mal 30 Minuten den Feldweg entlang, bis wir zum Einstieg des Wanderweges kommen. Der verschlammte Feldweg war ein Vorzeichen, wie sich bald zeigt, denn auch der weitere Pfad zwischen Wiesen und Felsen ist viel schlammiger als sonst, stellt Anna, unsere Wanderführerin, bald fest. Auch in Armenien hat es im Frühjahr 2024 außerordentlich viel geregnet. Langsam und vorsichtig müssen wir uns an vielen Stellen vorantasten, wo man sonst normal durchlaufen könnte. So dauert unsere Wanderung an diesem Tag bis zum Kloster statt 2,5 ganze 4 Stunden. Mein offenes Schuhwerk ist auf normales armenisches Sommerwetter ausgelegt. Aber es verträgt zum Glück auch Nässe ganz gut, wie ich im weiteren Verlauf dieses Urlaubs noch öfters feststellen werde. Erst mal rutschen wir zwischen Kuh- und Schafherden durch die armenische Landschaft und holen immer wieder tief Luft. Nicht, weil der Weg so anstrengend wäre, sondern weil der scharfe, würzige Duft des wilden Thymians so berauschend ist. Eine gute Motivation bei Rutschpartien und verschlammten Kleidern.

Kurz vor Ende der Wanderung, das Kloster ist schon in Sicht, lotst uns Anna noch mal den Hügel hoch und verspricht uns Felszeichnungen. Wir holen erneut tief Thymian-Luft, stärken uns mit frischem Quellwasser und folgen Anna nach oben. Kurz vor der Felskante angekommen, klettert sie in eine kesselartige Mulde, umgeben von dunkelgrauen Felswänden. Hier zeigt sie nach oben und weist uns auf eine Keilschrift im Felsen hin. Die Inschrift stammt vom urartäischen König Argischti I., der im 8. Jahrhundert vor Christus dieses Gebiet eroberte und seine Eroberungen mit Inschriften kennzeichnete. Spannend, mitten im Nirgendwo, zwischen Schafherden und Wildblumen, auf das erste Zeugnis von Hochkultur in der Region zu treffen.

Kloster Marmaschen
Kloster Marmaschen

Das Kloster Marmaschen, das wir bald darauf erreichen, hat sich inzwischen in Sachen Infrastruktur umso besser für die Touristen herausgeputzt. Seit meinem letzten Besuch vor einem Jahr führt nicht nur eine nagelneue, tiefschwarze, geteerte Straße nach unten, auch wurden gepflasterte Wege, gesäumt von Laternen, durch die Stätte angelegt und Blumenrabatte gepflanzt. Während wir den Hügel hinunter durch die Wiese auf das Kloster zuwandern, wirft die Andenkenverkäuferin sogar die Musikbox an, wobei in dem Moment Anna und ich uns einig sind, dass das des Guten zu viel ist und für so einen spirituellen Ort nicht passt. Unten angekommen wird die Musik auch bald abgestellt, Anna vermutet, dass sie erkannt wurde und die Verkäuferin ihre Kritik vom letzten Besuch noch erinnert. Damit findet unsere Wanderung an diesem Tag doch noch einen besinnlichen Abschluss.

Möwen und Pelikane

Armenische Möwe am Arpi-See
Armenische Möwe am Arpi-See

Am nächsten Morgen, ich hatte noch keine Zeit, meine Schuhe vom Schlamm zu reinigen, schließe ich mich erneut Anna an, diesmal zum Arpi-See. Zwar kenne ich den See, aber bisher nur von kürzeren Zwischenstopps. Heute wollen wir eine längere Strecke am Ufer entlang wandern, auch Feldstecher für Vogelbeobachtungen haben wir dabei und ein kleines armenisches Picknick. Der Arpi-See ist ein Nationalpark und liegt auf etwa 2.000 Metern Höhe, umgeben von Bergen, die Ende Mai noch schneebedeckt sind. 

Der See ist Heimat, Brutstätte und auch Zwischenstation für viele Vogelarten, darunter einige seltene und bedrohte Spezies. Anna kann im Flug Möwen von Pelikanen unterscheiden, was mir kaum gelingt. Fasziniert beobachten wir mit bloßen Augen, durch die Feldstecher oder ich auch mit meiner Kamera die Vogelwelt. Auf den Inseln nahe des Hauptquartiers des Nationalparks brüten tausende von Möwen, fliegen in Perlenketten-Formationen über den See. 

Die Ruinen, die man auf manchen Bildern sieht, stammen aus der Sowjetzeit, berichtet uns Anna. Seinerzeit wurde ein Staudamm gebaut, um den See zu vergrößern. Die Einwohner direkt am Ufer wurden zwangsumgesiedelt, wenigstens lediglich in neue Siedlungen nur ein paar Kilometer weiter.

 

Wir laufen am Seeufer entlang, zwischen einer Schafherde und durch einen kleinen Fichtenwald. Bald treffen wir auch hier wieder auf tief verschlammtes Gelände, erneut sind Schuhe und Hosen durchnässt. Doch es ist zum Glück recht warm und sonnig an diesem Tag. Wir wandern weiter, an blühenden Bäumen vorbei bis zu einer Stelle, die sich für das Picknick anbietet. Denn kurz dahinter ist die Stelle, die Anna uns zeigen wollte: Von dort aus können wir beobachten, wo die Pelikane nisten. Näher heran gehen wir an die scheuen Vögel aber nicht, dafür haben wir ja die Feldstecher dabei. 

Auf dem Rückweg sammelt Anna noch Schlüsselblumen für frischen Tee. Unser Fahrer Nairi war während unserer Wanderung mit Angeln beschäftigt. Stolz zeigt er uns seinen Fang, bevor der die Fischlein wieder in den See setzt. Er angelt nur zum Spaß, erzählt er uns lachend. Zurück im Berlin Art Hotel versammeln wir uns im Garten bei Schlüsselblumentee und Kuchen, denn der Fisch ist ja im See geblieben. So können wir unser Naturerlebnis zwischen Wasser, Luft, Wiesen und Blumen noch ein wenig verlängern. 

Ein paar Tage später fahre ich nach Yerevan, um mich dort mit Freunden aus Deutschland zu treffen. Sie haben den Plan, Armenien mit dem Lada Niva zu erkunden und ich darf als Reiseführerin mit. Auch dabei werden uns Thymian und Schlamm weiter begleiten, davon hier mehr. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Arpi (Dienstag, 18 Juni 2024 05:47)

    Unglaublich schön!