Yerevan hören

Oper, Klassik, Ethno, Flamenco und jede Menge Jazz – Konzertbesuche in Yerevan

Chico's new Trio im Cafesjian Center for the Arts
Chico's new Trio im Cafesjian Center for the Arts

Der eine oder andere meiner Leser weiß es: In Bonn hatte ich viele Jahre lang ein Abo der Theatergemeinde und habe mich daher dort regelmäßig in den Theatern und Kabaretts der Bundesstadt herumgetrieben. Sprechtheater aller Art, meistens in lustig, waren und sind meine Leidenschaft. Wenn man sich dann entschließt, in einem Land zu leben, in dem man weder die Muttersprache der Bewohner, Armenisch, noch deren Verkehrssprache (Russisch) beherrscht, dann muss eben die Musik als universelle Sprache zur Freizeitgestaltung herhalten. Das ist zum Glück in Yerevan problemlos möglich.

In den letzten 14 Monaten habe ich viele große und kleine Spielstätten besucht, einige auch schon sehr oft. Von dieser Vielfalt und auch von den Highlights möchte ich nun nicht nur schreiben und Fotos zeigen, sondern auch – bei Musik besonders wichtig –ein paar Videos hinzufügen.

Dass ich diese Vielfalt kennen lernen konnte, verdanke ich übrigens in großen Teilen einer guten armenischen Freundin, die als Komponistin und Chorleiterin die klassische Musikszene Armeniens natürlich bestens kennt. Mit ihr konnte ich daher auch einige Veranstaltungen entdecken, wie klassische Musik im Sushi-Imbiss, experimenteller Tanz oder Gastspiele von Ethno-Musik aus Indien, die ich ohne sie sicherlich nie erlebt hätte. Aber der Reihe nach:

 

Erste Liebe: Die Oper

Bei der Yerevaner Oper konnte ich fast nahtlos an meine Bonner Zeit anschließen, denn zuletzt hatte ich dort ja auch ein Opern-Abo. Die Yerevaner Oper ist ein sehr majestätischer und ebenso großer Bau mitten in der Innenstadt. Das Gebäude ist kreisrund gebaut und beherbergt in der einen Hälfte die Oper und in der anderen einen großen Konzertsaal.

Glücklicherweise habe ich gleich zu Beginn meiner Ankunft einen großen Opernliebhaber kennen gelernt, mit dem ich in meinem ersten halben Jahr hier fast das ganze Repertoire der Oper gesehen habe, etwa Carmen – meine Lieblingsoper – Aida oder La Traviata, zudem auch noch die armenische Oper Anoush. Die Inszenierungen sind so gewaltig wie der Bau, verglichen mit dem, was ich so in Deutschland gesehen habe, sowohl konventioneller als auch üppiger. Das Ballettensemble kommt z.B. bei praktisch jedem Stück zum Einsatz. Bei Anoush etwa wirbeln die Damen in blauen, roten und orangenen Kostümen – den armenischen Nationalfarben – über die Bühne.

 

Das Repertoire der Oper ist allerdings überschaubar und wechselt nicht allzu oft. Nachdem ich inzwischen das eine oder andere Stück schon zweimal gesehen habe, besuchte ich in den letzten Monaten eher Konzerte.

Im gleichen Haus gegenüber: Die Konzerthalle

In der Konzerthalle war ich das erste Mal letzten November, gleich mit einer denkwürdigen Aufführung. Dies lag weniger an dem – schönen – klassischen Konzert des armenischen Jugend-Symphonieorchesters, sondern am Datum. Es war der 14. November, ein Tag nach den Anschlägen in Paris, als der Konzertsaal in den französischen Nationalfarben ausgeleuchtet wurde. Nach dem Konzert war der französische Platz (sic!) vor der Halle, über der sonst der Verkehr in vielen Spuren rauscht, für Fahrzeuge abgesperrt und die Yerevaner strömten dort für eine bewegende Gedenkveranstaltung zusammen.

Danach besuchte ich die Konzerthalle noch öfters. So habe ich zum Beispiel die berühmte armenische Pianistin Svetlana Navasardyan spielen gehört. Die fast 70jährige Künstlerin ist bei ihren Landsleuten äußerst beliebt, bereits zur Pause gab es die ersten Blumensträuße und nach dem Konzert kamen Dutzende Verehrer zur Bühne, am Ende häuften sich die Blumenberge um sie herum. Sie musste auch mehrere Zugaben spielen, was sonst in Armenien eher unüblich ist. Normal ist eine Zugabe, mehr habe ich sehr selten erlebt. 

Und die echten Fans gehen danach auch noch in den Gratulationsraum. Dahin hat mich meine armenische Freundin geführt, sie besucht alle Künstler nach dem Konzert, um ihnen zu danken und weiß auch bei jedem Spielort, wo dieser spezielle Raum zu finden ist, in dem die Künstler ihre Gratulanten empfangen.

Konzertsaal in Kirchenanmutung: Komitas Chamber Music House

Im Komitas Chamber Music House ist dieser Raum nämlich ganz verschachtelt treppauf treppab hinten rechts zu finden. Der Konzertraum selbst ist mehr hoch als breit, im Winter sehr kalt und erinnert aufgrund seiner großen Empore und der riesigen Orgel hinter der Bühne sehr an eine – moderne – Kirche. Hier habe ich viele beeindruckende Chorkonzerte gehört und erlebt und diese, wenn ich warm genug angezogen war, auch sehr genossen.

Hierzu habe ich Ende Juni dieses Video aufgenommen, an diesem sehr heißen Sommertag ließ es sich im Komitas Chamber Music House auch sehr gut aushalten. Im Video singt übrigens der Hover Chamber Choir, einer der besten Chöre des Landes, wie mir meine Freundin erzählte.

Wenn man über armenische klassische Musik berichtet, dann wäre dies unvollständig, wenn man nicht auch zumindest ein ganz klein wenig zu Komitas schreibt. Denn Komitas ist nicht nur ein armenischer Komponist, er ist DER armenische Komponist, der Begründer der klassischen armenischen Musik. Er hat unter anderem tausende von armenischen Volksliedern gesammelt, diese in einer speziell dafür entwickelten Notation aufgeschrieben und einige davon dann zu Kunstliedern gesetzt. Sein bewegtes Leben führte ihn auch nach Berlin, wo er Musiktheorie und Komposition studierte. Leider endete sein Leben in geistiger Umnachtung, nachdem er als einer von ganz wenigen armenischen Intellektuellen aus Istanbul den Völkermord an den Armeniern überlebt hatte. Doch dieses Erlebnis erschütterte den Künstler so sehr, dass er sich davon nie mehr erholte.

Andere Spielorte

Erst 2015 eröffnet hat das Komitas Museum-Institute, das natürlich nicht nur eine Ausstellung zu Komitas beherbergt, sondern auch einen kleinen, aber feinen Konzertsaal. Auch hier war ich bei einigen Konzerten, sowohl von deutschen Chören, die armenisch als auch von armenischen Sängern, die Deutsch gesungen haben. 

Eher außergewöhnliche und experimentelle Dinge kann man im „Small Theatre“ erleben. Hier entstand dieses Video einer Tanzdarbietung, die die Bewegung der Tänzerin mithilfe elektronischer Erfassung in hörbare Töne umsetzte – genauer kann ich es leider nicht beschreiben …

Ein Konzert der ganz besonderen Art, eher in Wohnzimmer-Atmosphäre, hörte ich im April im Sushi-Lokal SAKURADA – übrigens das einzige mit einem japanischen Koch in ganz Armenien, was uns derselbe stolz erzählte. Da passte es noch besser, dass das Trio abwechselnd Stücke von armenischen und japanischen Komponisten spielte.

Die Cellistin kann übrigens auch gut Deutsch und hat mir erzählt, dass sie nur wegen Bach Deutsch lernt und Cello spielt. Einer meiner schönsten und gemütlichsten Konzertabende mit lecker Sushi vorneweg und netten Gesprächen mit den Künstlern gleich danach habe ich also hier erlebt. 

Cafesjian Center for the Arts

Armenian Jazz Band
Armenian Jazz Band

Architektonisch, atmosphärisch und auch künstlerisch immer wieder ein Erlebnis ist sicherlich der Konzertsaal im Cafesjian Center for the Arts. Der Saal befindet sich am oberen Ende der Cascade, einer riesigen Freitreppe im Zentrum Yerevans. Die Freitreppe ist mit ihren Friesen und Brunnen in hellem Stein an sich schon ein Kunstwerk, dazu kommen noch viele Plastiken – wie etwa der „Glassinator“, über den ich im September geschrieben habe – und bei guter Fernsicht schon ab dem unteren Drittel der Treppe ein wunderbarer Blick auf den Berg Ararat.

Der Konzertsaal befindet sich im oberen Ende der Freitreppe und besteht aus gemütlichen Polsterbänken auf drei Ebenen, mit Granit-Tischen davor und Kerzchen darauf. Daher ist es leider umso trauriger, dass an diesen Tischen keinerlei Getränke oder Speisen serviert werden und man auch selbst nichts mitbringen darf – danach habe ich nämlich aus lauter Verzweiflung auch schon gefragt.

Das ist aber der einzige Nachteil dieser Spielstätte, ansonsten habe ich hier zwischen Klassik, jede Menge Jazz bis hin zu Ethno schon viele beeindruckende Künstler gehört. 

So etwa das Nagash Ensemble, eine spannende und bewegende Mischung aus armenischer Klassik und Folk:

Oder die Ethno-Band Gharana World Music aus Indien mit einer Fusion aus östlicher und westlicher Musik, Entspannung und Meditation zum Hören:

Für westliche Ohren eher konventionelle Klänge bietet dafür die Armenian Jazz Band. 20 Musiker auf dieser kleinen Bühne sorgen für ein ohrenbetäubendes Erlebnis, das fast zwangsläufig zu guter Laune führt:

   

Demirchyan Arena

Zu guter Letzt gibt es hier in Yerevan auch eine Arena für die ganz großen Stars und Shows. Hier kurvt zum Beispiel demnächst im November Evgheni Plushenko übers Eis und letzten April hatte sich Eros Ramazzotti angekündigt. Die Karten hatten wir schon längst für teures Geld gekauft, als das Konzert wenige Tage vorher abgesagt wurde, auf die Rückzahlung der Ticketpreise warten wir bis heute ...

Dies hielt mich aber nicht von einem neuen Versuch ab, die Arena zu besuchen, denn Mitte Oktober war hier als Highlight des Yerevan Jazz Fest die britische Sängerin Joss Stone zu Gast. Schon seit ihrem Album „Mind, Body & Soul“ bin ich ein großer Fan von ihr und dieser Konzertbesuch war daher ein absolutes Muss für mich. Natürlich trat sie in der Arena auf und daher lernte ich schließlich diesen Saal doch noch kennen. Wie viele Arenen in anderen Städten auch, liegt diese nicht im Zentrum, aber praktischerweise nicht so weit weg von meiner Wohnung, so dass ich mich in der Abenddämmerung dorthin zu Fuß aufmachte und unterwegs schon ein paar schöne Bilder einfangen konnte.

Das Konzert selbst war ein großartiges Ereignis, Joss Stone ist eine faszinierende Künstlerin, die es versteht, innerhalb kürzester Zeit eine intime Verbindung mit ihrem Publikum herzustellen. Im flatternden bodenlangen Seidenkleid und barfuß tanzte sie über die Bühne, pflegte zwischendurch ihre Stimme mit einem Tässchen Tee und verzauberte mit ihrer feengleichen Ausstrahlung und ihrer großartigen Stimme den Saal von Anfang bis Ende. Sehr bald standen fast alle im Saal aus den Polstersesseln auf und sangen, klatschten und tanzten begeistert mit.

Ich hatte Karten für die zweite Reihe besorgt und habe selten Künstler so hautnah und aus der Nähe erlebt. Dank der großen Bildschirme rechts und links der Bühne konnten aber auch alle anderen Zuschauer ganz genau verfolgen, was vorne passierte. Warum ich das erwähne? Dass ich in der zweiten Reihe begeistert mitgetanzt habe, blieb den übrigen Zuschauern nicht verborgen. Einige Tage nach dem Konzert sprach mich nämlich eine armenische Bekannte an und erzählte mir, dass sie auch bei diesem Konzert war und dass sie mich dort auf dem Bildschirm in Großaufnahme tanzen gesehen hatte …

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