Störche, Schnee und Sonne
Heute lebe ich auf den Tag genau acht Monate in Armenien und daher habe ich das Land in den letzten Wochen das erste Mal auch im Frühling erlebt. Eine wunderschöne Jahreszeit mit schnell länger werdenden Tagen, ohne Zeitumstellung und mit viel Wärme, Licht und Sonne. Gleichzeitig habe ich in diesen Monaten schon Einiges vom Land gesehen, denn an manchen Orten war ich nun schon mehrfach und konnte sie in verschiedenen Jahreszeiten erleben. Auch ist Armenien mit seinen vielen gebirgigen Regionen und weiten Tälern ein Land, in dem man Winter, Vorfrühling und Frühling durchaus an einem Tag erleben kann. Wie ich in den letzten Wochen vom Frühling in den Winter und wieder zurück gefahren will, möchte ich Euch nun erzählen – und vor allem zeigen.
Meine erste armenische Wandererfahrung
Beginnen möchte ich mit meinem ersten Wanderausflug in Armenien, den ich Mitte März unternommen habe. Die Bäume sind noch kahl, die Hänge noch graubraun, aber die Sonne knallt hier schon kräftig, auf dem 40. Breitengrad und in über 1.600 Metern Höhe. Wir sind beim Kloster Saghmosavank und wollen nach Besichtigung der beeindruckenden Anlage in die Kasakh-Schlucht hinab „gehen“ und dann durch die Schlucht bis zum Kloster Hovanavank.
Der lokale Guide ist die Route zwar schon mal gegangen, aber trotzdem findet er auf Anhieb nicht den richtigen Pfad nach unten, zwischendurch klettern wir wieder ein Stück zurück und das letzte Drittel rutschen und klettern wir eine Geröllhalde hinunter. Unten angekommen rinnt uns der Schweiß, zum Glück haben wir alle genügend Getränke und Proviant dabei. Der Rest der Wanderung verläuft dann harmlos, dafür umso schöner durch die Schlucht und zum nächsten Kloster namens Hovanavank.
Ungefähr sechs Wochen später, Ende April, besuche ich wieder die beiden Klöster, nur eine knappe Stunde von Yerevan entfernt. In Yerevan sind die Bäume schon grün und die Obstblüte vorbei, hier oben in Saghmosavank empfangen uns weiße Blütenwolken. Unter den Bäumen ist es richtig schwülwarm, der Duft der Obstblüten ist süß und schwer und die Bienen summen laut, satt und zufrieden zwischen den Ästen über unseren Köpfen herum.
Diesmal geht die Reise mit dem Auto weiter. Beim Kloster Hovanavank angekommen fliegen um die Mauern und durch die Kasakh-Schlucht pfeilschnell kleine Vögel an uns vorbei und kurven akrobatisch um die Felsen. Ich hoffe, ich habe sie, dank einschlägiger Hilfe und Wikipedia, richtig als Mittelmeer-Steinschmätzer identifiziert.
Auch in den Kloster-Kirchen sehen wir Unterschiede: Im März waren wir in der Fastenzeit da, dann wird in armenischen Kirchen der Altarraum durch einen Vorhang verhängt, erst an Ostern wird dieser wieder geöffnet. Nun, einige Wochen nach Ostern, ist der Vorhang beiseite geschoben. Ostern haben die armenischen Christen übrigens auch bereits Ende März gefeiert.
Hovanavank ist bei einem Erdbeben 1918 schwer beschädigt worden. In den 1990er Jahren wurde es dann wieder aufgebaut. Wenn wir die armenische Besucherin, die uns auf Armenisch, Russisch und ein wenig Englisch über die Geschichte des Ortes berichtet hat, richtig verstanden haben, haben auch Deutsche beim Wiederaufbau geholfen. In der Kirche finden wir eine Fototafel, die die Ruinen zeigt.
Ungefähr eine Stunde von diesen beiden Klöstern entfernt, die Hänge des Aragats hinauf, liegt die mittelalterliche Festung Amberd. Auch diese besuche ich an diesem Frühlingstag Ende April bereits zum zweiten Mal, das erste Mal war ich Anfang Oktober hier. Amberd liegt in 2.300 Metern Höhe, die Bäume sind hier noch kahl und die Straße teilweise noch von Schneefeldern bedeckt, als wir uns der Festung nähern. Aber die Hänge des Aragats und auch die Wiesen rund um die Festung sind bereits von Blumenmeeren bedeckt. Überall auf dem Weg blühen kleine gelbe Blümchen, rund um die Festung leuchtet es weiß-blau. Wenn ich richtig gegoogelt habe, sind dies armenische Traubenhyazinten. Und dass sich ein zweiter Besuch nicht nur aufgrund der sich ändernden Jahreszeiten lohnt, merke ich auch, als ich zwischen den Ruinen der Festung in der Ferne den Ararat erahnen kann. Als ich im Herbst da war, war der Himmel bedeckt und die geografisch einzigartige Lage der Festung über der Arartebene hatte sich mir damals gar nicht so richtig erschlossen.
Zwischen Blüten und Störchen
Den Frühling in eben jener Araratebene konnte ich schon Ende März erleben. An einem sonnig-warmen Samstag zogen wir los zu einem kurzen Ausflug nach Khor Virap, dem malerisch gelegenen Kloster direkt am Fuß des Ararats. Dieses beliebte Ausflugsziel konnte ich nun schon im Spätsommer und im Winter erleben. Im kleinen, geschützten Klosterhof sind die Bäume schon grün, in der weiten Ebene darum herum ist der Schnee zwar schon verschwunden, aber die Natur wartet noch ab.
Auf dem Rückweg beschließen wir, auch noch die alte armenische Hauptstadt Dwin zu besichtigen. Auf dem Weg dahin durchqueren wir einige Dörfer mit stattlichen Villen mit Araratblick, blühenden Obstbäumen und dazu noch klappernden Störchen. An der Stelle, an der Blüten und Störche zusammen kommen, steigen wir aus, um gleich zwei Frühlingsmotive gleichzeitig zu bewundern. Auch hier duftet die Luft unter den blühenden Obstbäumen fast betäubend schwer.
Nach einiger Kurverei durch die Dörfer und mit Hilfe von Google Maps finden wir schließlich die archäologische Stätte Dwin, vom 4. bis 9. Jahrhundert n.Chr. die Hauptstadt Armeniens. Das Gelände teilen wir uns mit zwei Kühen, andere Besucher sind nicht in Sicht. Dafür begrüßt uns ein junger Mann, der mit seiner Familie auch auf dem Gelände wohnt. Die Familie betreibt eine kleine Landwirtschaft und kümmert sich um die Stätte und das kleine Museum, das dazu gehört. Er lädt uns ein, auch das Museum zu besichtigen. Das Angebot nehmen wir gerne an, denn die Stätte selbst verlangt uns viel Fantasie ab, um uns die alte Hauptstadt vorzustellen. Beeindruckend ist vor allem die Größe des Ruinenfeldes, das sich von der Ebene bis zu einem kleinen Hügel hinauf erstreckt. Als wir am Museum ankommen, erklärt uns der Junge, dass er noch den Schlüssel suchen muss, wir sollen so lange den Hügel hinauf steigen, was wir auch tun. Als wir wieder herunterkommen, ist seine Mutter, die Englisch kann, dazu gekommen. Sie erklärt uns, dass der Schlüssel verschwunden sei. Offensichtlich ist sie sehr bestürzt darüber, dass wir nicht alle sehenswerten Dinge der Stätte sehen können und lädt uns daher eindringlich zum Tee trinken ein. Diese Einladung können wir natürlich nicht ausschlagen. Sofort kommt ihre Tochter mit einem Tischtuch, Bonbons und anderen Süßigkeiten herbeigelaufen. Der armenische Thymiantee ist sehr lecker und erfrischend. Während wir noch den Tee schlürfen, kommen auch noch Lavash (das armenische Fladenbrot), saure Sahne und Käse auf den Tisch. Wir essen und trinken vor dem gut verschlossenen Museum gemütlich vor uns hin, als die Bauersfrau plötzlich wieder herbeieilt. Sie greift – gleich neben dem Tisch – in dem Baum in die Astgabel und was zieht sie daraus heraus? Den Schlüssel! Wir lachen alle und natürlich besuchen wir dann, gut gestärkt, noch das kleine Museum von Dwin. Die Bilder und Fundstücke darin machen es uns leichter, uns das Leben vor 1.500 Jahren vorzustellen – übrigens recht römisch.
Kurztrip durch die Jahreszeiten
Zu guter Letzt hatte ich Anfang April die Gelegenheit, einige der schönsten Orte Südarmeniens erneut zu besuchen, etwa Noravank, Tatev und Jermuk, die ich ja im Herbst schon kennenlernen durfte und auch damals ausführlich beschrieben habe.
Alle diese Orte beeindrucken mich bei erneuten Besuchen nicht weniger als beim ersten Mal. Besonders spannend ist nun, Anfang April, die Reise durch die Jahreszeiten. Unten in der Arartebene ist es schon grün, auch im Tal des Flusses Arpa haben die Bäume schon saftig hellgrün ausgeschlagen. Fährt man dann die Hänge und Pässe hinauf, dann verschwindet das Grün, statt dessen kommen gelb und weiß blühende Bäume und Sträucher in Sicht, bis schließlich, auf ca. 2.000 Metern Höhe wie etwa Jermuk, Schneefelder und zugefrorene Seen die Landschaft dominieren.
Besonders eindrucksvoll erleben wir dieses Phänomen auf dem Rückweg: Wir fahren vom Winter in Jermuk hinunter ins frühlingshafte Arpa-Tal, um kurze Zeit später wieder den Selim-Pass auf 2.400 Meter Höhe hinauf zu fahren. Hier oben liegt um die Straße herum noch meterhoch Schnee.
Kurz unterhalb der Passhöhe liegt die Orbelian Caravanserei. Sie wurde im Mittelalter von armenischen Fürsten erbaut, um Reisenden und ihren Tieren Schutz zu geben. Natürlich sind wir mal wieder die einzigen Touristen, die sich dieses immer noch halb im Schnee versunkene Gebäude anschauen. Ein ebenso zweckmäßiger wie beeindruckender Bau, der daran erinnert, dass Armenien auch auf der Seidenstraße liegt.
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Wolfgang (Mittwoch, 11 Mai 2016 11:01)
Liebe Silvia,
eine wohltuende Erinnerung an gemeinsame Touren.