Zwischen Ruinen und Renovierung
Der Weltfrauentag am 8. März ist hier in Armenien arbeitsfrei und bescherte mir daher unverhofft ein verlängertes Wochenende bis Dienstag - das musste natürlich für die Entspannung der Frau genutzt werden. Eigentlich hatte ich mich bereits für einen erneuten Wellness-Besuch im schönen Djermuk verabredet, aber der Wetterbericht für den Süden Armeniens versprach Regen und Schnee. Eine Woche lang überprüfte ich jeden Morgen die Vorhersage, die leider stetig schlecht blieb. Wettervorhersagen sind hier irgendwie beständiger als in Deutschland, im Guten wie im Schlechten. Also recherchierte ich die Vorhersage für andere Orte Armeniens und siehe da: Für Gyumri im Nordwesten wurden zwei Tage Sonne prognostiziert. So trafen wir uns am Montag morgen, planten unsere Route in Richtung Gyumri entlang der touristischen Highlights laut Karte und Reiseführer und tuckerten los.
Wieder mal hatte es am Tag zuvor geregnet und eine fantastische Fernsicht begleitete uns auf dem Weg aus der Stadt. Wir verfuhren uns zum x-ten Mal an derselben Stelle und drehten die uns schon hinreichend bekannte Schleife durch Yerevan, als sich vor uns der Ararat unübersehbar zwischen zwei Werbetafeln quetschte, trotz Kabelwald dazwischen fast schon zum Greifen nah.
Die nächsten beiden Tage blieb das weiße Vulkankegelchen weiterhin am Horizont schweben, so dass ich es auf vielen Fotos sehr dekorativ mit ganz unterschiedlichen baulichen und sogar animalischen Motiven kombinieren konnte.
Obwohl ich den Süden landschaftlich ein wenig eindrucksvoller finde und es im Nordosten viel mehr Klöster zu besichtigen gibt, haben die alten armenischen Mönche auch im Nordwesten zwischen Yerevan und Gyumri genügend schöne Orte gefunden, um sich baulich zu verewigen. So schaffen wir es, an den beiden Tagen unterwegs zwei Klöster, zwei Kirchen, drei Kirchenruinen und noch die Ruinen einer Festung und einer Karawanserei anzuschauen.
Die eindrucksvollste Sehenswürdigkeit dieser Gegend, die alte armenische Hauptstadt Ani, liegt heute übrigens unmittelbar hinter der Grenze in der Türkei. Der Weg dorthin führt nun von Armenien aus in einem Umweg von hunderten von Kilometern über Georgien.
Auf dem Weg nach Norden machen wir einen kleinen Abstecher nach Osten in Richtung des Örtchens Artik, um dort das Kloster Harichavank und zwei Kirchenruinen anzuschauen.
Harichavank ist das erste Kloster, das ich hier in Armenien besuche, das heute noch bewohnt ist. Ein paar Klosterschüler in schlichten schwarzen Anzügen stehen auf dem Balkon der Klosterschule in der Sonne und beobachten uns und die armenischen Familien, die mit uns zusammen über das Gelände wandern.
Zurück von Gyumri nach Süden in Richtung Yerevan machen wir erst noch einen kleinen Abstecher nach Norden zum Kloster Marmashen.
Dann wählen wir die westliche Route direkt an einem Stausee an der türkisch-armenischen Grenze entlang. Dieser Weg führte uns an zwei Kirchen, einer Kirchenruine, einer Karawanserei und einer Festung vorbei.
Die armenischen Klöster, Kirchen und Ruinen ähneln sich oftmals, außergewöhnlich machen sie einerseits ihre Lage inmitten der Natur und andererseits, dass man diese Orte, jetzt im März sowieso, meist fast für sich alleine hat. Die größeren Klosteranlagen ziehen zwar noch einige Ausflügler an, andere Stätten teilten wir uns aber mehr mit Rindern und Schafen als mit anderen Menschen. Da war das kleine armenisch-russisch-französische Schwätzchen mit den zwei Schäfern bei der griechisch-römischen Ruine Yereruyk eine willkommene Abwechslung.
In Gyumri haben wir uns im Berlin Art Hotel einquartiert, das früher mal Gästehaus Berlin hieß und seinen Namen nicht umsonst hat: Es wurden nach dem verheerenden Erdbeben 1988 vom Berliner Roten Kreuz gebaut, zusammen mit einer Ambulanzstation. Daher können die sehr netten Angestellten des Hotels auch ein bisschen Deutsch, die Zimmer und das Gebäude haben ein wenig deutschen Gemeindezentrum-Charme der 80er Jahre und sind ansonsten mit sehr schönen und originellen Werken armenischer Künstler dekoriert.
Nach der Ankunft lassen wir uns von der Dame an der Rezeption auf dem Stadtplan die Highlights der Stadt einzeichnen, noch einen Restaurant-Tipp aufschreiben und ziehen dann los.
Das heutige Gyumri ist immer noch stark von dem Erdbeben geprägt, das ca. 60% aller Gebäude zerstört hat, vor allem die neueren Bauten aus der Sowjet-Zeit konnten dem Beben oft nicht standhalten. Daher prägen drei Häuser-Typen die Stadt:
· Erstens jede Menge Neubauten, oft auch im historischen Stil, aber trotzdem eindeutig als recht neu erkennbar, etwa das riesige Rathaus.
· Zweitens sieht man immer noch Ruinen an einigen Ecken, oftmals auch in diversen Stadien der Renovierung. So wurden auch die beiden Kirchen am zentralen Platz der Stadt zerstört. Davon ist eine bereits wieder restauriert und wird rege besucht, die andere – größere – sieht zwar auf den ersten Blick ebenfalls vollendet aus, der Baukran daneben zeigt aber, dass immer noch daran gewerkelt wird.
· Und drittens, das finde ich das Schönste an der Stadt, haben viele eindrucksvolle Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert, das Erdbeben erstaunlich gut überstanden und prägen nun – ebenfalls in diversen Stadien der Renovierung – die Altstadt Gyumris.
Nachdem wir die gesamte Altstadt kreuz und quer abgelaufen sind und der McDonalds gegenüber der Kirche geschlossen hat (siehe Foto), nehmen wir uns ein Taxi und lassen uns an den Stadtrand zum Restaurant-Tipp fahren. Wir kommen schließlich in ein recht einsames Industriegebiet und fragen uns, ob wir hier wirklich richtig sind. Ein kleines Schild mit zwei Fischen zwischen zwei Fabrikgebäuden macht uns Hoffnung, dass doch bald noch das Fischlokal auftaucht. Schließlich hält der Taxifahrer auf einem Schotterparkplatz und zeigt die kleine Schlucht hinter dem Parkplatz hinunter. Im Dämmerlicht erahnen wir ein paar Teiche und Hütten und steigen hinunter. Und in der Tat begegnen wir einem jungen Mann, der gerade Fische aus dem Teich gefischt hat, das sieht vielversprechend aus! An diesem Abend esse ich zum ersten Mal Stör, wunderbar würzig gegrillt, dazu Salat, Gemüse und frisch gebackenes Brot, das uns ofenwarm serviert wird.
Am nächsten Morgen beim Auschecken aus dem Hotel bemerke ich, dass eines der witzigen Bilder im Flur – Fotodruck auf Jeans-Stoff – eines der Häuser in Gyumri zeigt, dass mir besonders gut gefallen hat, ein einstöckiges graues Steinhaus mit einem großen runden Fensterrahmen rechts, das mich ein wenig an eine Mischung aus Jugendstil und Hobbit-Höhle erinnert. Kurzentschlossen kaufe ich das Bild, nachdem ich mit dem Hotelmanager am Telefon auf Deutsch Preis und Zahlungsmodalitäten aushandele.
Wenn ich weiterhin bei jedem Ausflug ein Bild kaufe, werden meine Wände - sowohl in der Wohnung als auch im Büro - bald ebenfalls zur Kunstgalerie.
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Wolfgang (Sonntag, 13 März 2016 07:29)
Ein farbenprächtiger und lebendig geschilderter Bericht. Bericht. Gummi ist doch nicht so langweilig.